Eine spannende Kombination von Sozialarbeit und MINT-Angeboten in einem der herausforderndsten Stadtteile Erfurts

Interview mit Julia Zajonc, Sozialarbeiterin bei "bärenstark Erfurt" - unserem neuen Förderprojekt für Kinder von 6 bis 12 Jahren im Stadtteil Roter Berg.


Dr. Hans Riegel-Stiftung: Guten Tag Frau Zajonc. Sie sind Projektkoordinatorin für das Projekt "Geschenk Natur" bei „bärenstark“ in Erfurt. Was macht das Projekt aus und was sollte man zum Stadtteil „Roter Berg“ wissen?

Frau J. Zajonc: Der Stadtteil liegt etwas außerhalb im Erfurter Norden. Die Plattenbauten mit fünf und mehr Etagen wurden in der DDR errichtet. Die Familien, mit denen wir zusammenarbeiten, haben unterschiedliche Herausforderungen: Suchtprobleme, Arbeitslosigkeit, chronische Krankheiten oder Alleinerziehende. Der Stadtteil Roter Berg ist durch ein Industriegebiet abgegrenzt, weshalb die Familien sich meist nur hier im Stadtteil selbst bewegen.

Dr. Hans Riegel-Stiftung: Wie kam es zum Projekt „bärenstark“ und welche Organisation steht dahinter?

Frau J. Zajonc: Der Trägerverein besteht schon seit vielen Jahren. Zuerst begann es mit einem Kidsclub im ehemaligen Einkaufzentrum und später wurde das Begegnungszentrum „Anders“ gekauft. Dort gibt es Arbeitsmöglichkeiten für Menschen, welche Sozialstunden ableisten müssen, die häufig Unterstützung beim Kampf gegen Abhängigkeiten oder bei der Wiedereingliederung in den Beruf brauchen. Außerdem betreiben wir dort ein Café für die Menschen aus dem Stadtteil mit Beratungsangeboten für Erwachsene. Die dritte Säule unserer Arbeit ist die Kinder- und Jugendarbeit „bärenstark“, welches in diesem Jahr sein 10jähriges Jubiläum feiert. In diesem Bereich bieten wir Kinderpartys, Kleingruppenprojekte, Beratungsangebote und haben ein offenes Ohr für die Kinder und Familien. Mit dem Spielmobil sind wir im Stadtteil unterwegs, um die Kinder auch aktiv zu den bestehenden Angeboten einzuladen.

Der Stadtteil hat zwar einige Grünflächen, aber die Wertschätzung und ein Bewusstsein für die Natur fehlen, was man an Müll und ungepflegten Grünanlagen sieht. Auch kennen sich viele Kinder mit alltäglichen Pflanzen und Tieren wenig aus. Wir wollen in dem Projekt mit den Kindern den Umgang mit der Natur vielfältig ermöglichen: Basteln, Erforschen, Berufsorientierung: all das erleben sie zu Hause leider nicht ausreichend. 

Dr. Hans Riegel-Stiftung: Wie verändern sich die Kinder aus Ihrer Sicht durch die Arbeit? Können Sie Erfolgsgeschichten nachverfolgen?

Frau J. Zajonc: Da fallen mir zwei Beispiele ein: Im Begegnungszentrum „Anders“ gibt es einen Teilnehmenden, der Sozialstunden ableisten musste, bereits Erfahrung im Gefängnis und mit Drogen hatte. Durch die regelmäßige und sinnstiftende Arbeit bei uns erhielt er Struktur und Wertschätzung. Nun leistet er den Bundesfreiwilligendienst bei uns. Inzwischen handelt er deutlich überlegter und verantwortungsvoller, weil wir ihm das Vertrauen gaben.

Ein weiteres: Ein Mädchen, das ich schon sehr lange begleite, war anfangs in der Mädchengruppe sehr zurückhaltend. An den Angeboten und Spielen nahm sie nur selten und mit wenig Begeisterung teil. Eigentlich spielen Kinder sehr gern, aber für sie war es sehr schwierig. Wir haben ihr Brücken gebaut, indem sie anfangs nicht aktiv teilnehmen sollte, sondern nur Beobachten oder als Schiedsrichterin mitwirken durfte. Das hat sie ermutigt und inzwischen ist sie im Teenie-Alter und macht im Kochprojekt aktiv mit. Auch bei anderen Aktivitäten ist sie inzwischen gern und ausgelassen dabei.

Dr. Hans Riegel-Stiftung: Beschreiben Sie doch bitte Aktivitäten aus dem von uns aktuell geförderten Projekt „Geschenk Natur“.

Frau J. Zajonc: Das Angebot findet zweimal die Woche mit je 6-15 Kindern statt. Mehr geben die aktuellen Räume nicht her. Bei einer Entdecker-Tour lernten die Kinder Frühblüher und deren Namen kennen. Auch das Thema Upcycling behandelten wir rund um Ostern und bastelten nachhaltige Ostergeschenke. Ein Highlight war gerade erst letzte Woche: Ein Besuch in einem Labor der Fachhochschule Erfurt, wo die Kinder von Prof. Dr. Franken Einblicke in die Forschung rund um Pflanzenzucht erhielten. Den Kontakt erhielten wir durch Sie, die Dr. Hans Riegel-Stiftung und sind sehr dankbar dafür. Die Kinder hatten im Anschluss berichtet, dass sie vorher noch nie in einem Gewächshaus oder Labor – geschweige denn mit Kittel und weiterer Laborausrüstung – waren. Das waren ganz neue Berufsbilder für unsere Teilnehmenden, die wir selbst ihnen so nur schwer vorstellen können. Die Kinder konnten u.a. Pflanzenwurzeln untersuchen und mit Studierenden Bakterienwachstum beobachten. Hier entstand auch ein langfristiger Kontakt für unsere Arbeit, auf den wir gern wieder zurückgreifen. Wir stehen auch mit einem weiteren Mitarbeiter der Fachhochschule im Austausch, um dort Experimentierkoffer und technische Experimente zu erhalten und ebenfalls unseren Kindern anzubieten.

In den nächsten Wochen werden wir das Thema Pflanzen fortsetzen und eigene Beete anlegen und mit den Kindern gemeinsam gestalten. In Juni ziehen wir dann in unser neues Familienzentrum ein, wo dafür auch mehr Platz ist.

Dr. Hans Riegel-Stiftung: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg.

 

Das Interview führte Peter Laffin, Projektleiter bärenstark Erfurt, Dr. Hans Riegel-Stiftung